Handwerk an der Schule – eine Idee der Reformpädagogik
„Bildung mit Kopf, Herz und Hand“ so könnte man die Schulschwerpunkte des Evangelischen Heidehof-Gymnasiums zusammenfassen. Tatsächlich stammt dieses bekannte Zitat von Johann Heinrich Pestalozzi (1746–1827), einem Wegbereiter der Reformpädagogik, in deren Geist unsere Schule 1908 gegründet wurde. Pestalozzi wandte sich zu seiner Zeit gegen den üblichen rein verbalen Frontalunterricht und forderte einen Unterricht, in dem intellektuelle, sittlich-religiöse, sowie handwerkliche Fähigkeiten gleichermaßen gefördert wurden. Aus dieser Forderung erwuchs zunächst vor allem die „Anschauungspädagogik“, d. h. eingesetzte Bildmaterialien und Gegenstände sollten die Vorstellungsfähigkeit im Unterricht anregen.
Auf den Reformpädagogen Georg Michael Kerschensteiner (1854–1932) geht die Forderung nach der „Selbsttätigkeit“ von Schülern zurück, sein „Arbeitsunterricht“ setzte die oben genannte Formulierung Pestalozzis noch konsequenter durch die Einrichtung von Holz- und Metallwerkstätten, Schulküchen und Schulgärten um. Nach Kerschensteiner musste pädagogische Arbeit manuell, praktisch und geistig zugleich geprägt sein. Der enzyklopädische Lernstoff sollte zugunsten praktischer Tätigkeit eingeschränkt werden. Zur selben Zeit wie Kerschensteiner prägten die englischen Pädagogen Dewey und Heard die bekannte Sentenz „learning by doing“: Die Wirklichkeit sollte handelnd erkundet, Schüler so zu eigenen Überlegungen und Lösungsversuchen gezwungen werden. Dieses Prinzip fand Eingang in den heutigen „handlungsorientierten Unterricht“ der ein „ganzheitlicher und schüleraktiver Unterricht ist, in dem die zwischen dem Lehrer und den Schülern vereinbarten Handlungsprodukte die Organisation des Unterrichtsprozesses leiten, so dass Kopf- und Handarbeit der Schüler in ein ausgewogenes Verhältnis zueinander gebracht werden.“
(Hilbert Meyer, 1988)
Am Evangelischen Heidehof-Gymnasium ist dieser handlungsorientierte Ansatz bereits seit 1979/1980 fester Bestandteil des verbindlichen Schulangebots in Form des „Praktischen Faches“, das in kleinen Gruppen besucht wird (ca. 7–10 Personen), die so intensiv betreut werden können.
Das Evangelische Heidehof-Gymnasium Stuttgart geht mit der Zeit: Das Angebot im Praktischen Fach wurde immer wieder erweitert ohne die reformpädagogischen Kerngedanken aus dem Blick zu verlieren: Klassische Handwerkstechniken schärfen die Wahrnehmung auf besondere, in Schulen heute selten gewordene Weise. Zugleich sind die Werkzeuge des Medienzeitalters ein nicht wegzudenkender Bestandteil unserer Lebenswelt und repräsentieren praktische Arbeitsprozesse heute.
Christian Lang
Buchbinden
Bücher und Papierwaren haben große Konkurrenz bekommen im digitalen Zeitalter, doch besitzen sie auch konkurrenzlos unnachahmliche Qualitäten, denen wir gerne nachspüren im Praktischen Fach Buchbinden. So ist Papier ist nie gleich Papier und fühlt sich anders an als anderes. Im Buchbindekurs stellen wir ein gemeinsames Heft her, nutzen Handletteringtechniken und gestalten Textseiten. Angehende MusikerInnen oder Zeichnende können sich auch eine passende Mappe herstellen. Oder eine Stiftebox für den Schreibtisch? Mit oder ohne Deckel? Wie groß soll das Gewünschte sein? Vielleicht sogar etwas mit Geheimfach? Wie macht man einen Hardcover- Leporello für einen sehr langen Geburtstagsgruß? Im Praktischen Fach Buchbinden werden viele solcher Ziele ins Auge gefasst. Das Material wird gestellt. Um ein Buch zu binden, muss man viel Papier und etwas Pappe in die Hand nehmen, schneiden, falzen, kleben und sogar heften mit Nadel und Faden. Sauberes Arbeiten führt zum gewünschten Ziel. Manch seltsames Werkzeug setzen wir ein und lernen, welche Arbeitsschritte jeweils nötig sind und entscheiden nach Prüfung mit Händen und Augen. Ein selbst gemachtes Buch ist cool. Hinterher schauen wir Bücher anders an, garantiert.
Christian Lang
Fotolabor
Willkommen im Raum 116 unserer Schule! Hier befindet sich ein analoges Fotolabor mit einer Dunkelkammer samt Vergrößerungsgeräten und großen Wannen zum Entwickeln eurer Schwarzweiß Bilder. Wer jetzt denkt, dass das Praktische Fach Fotolabor ausschließlich dort stattfindet, liegt aber falsch. Seit 40 Jahren können Heidehof SchülerInnen hier von Hand Bilder entwickeln, aber natürlich hat sich inzwischen die Fotografie radikal gewandelt. Die Digitalisierung der Geräte und der Bearbeitung der Bilder ermöglichen heute ein ganz anderes Arbeiten. Kurz gesagt: analoges Arbeiten beim Fotografieren und Entwickeln wird vorgestellt und erlernt, digitales Arbeiten ist aber ebenso möglich, auch wenn der Titel Praktisches Fach Fotolabor anders klingt – über die Anteile entscheiden wir gemeinsam in der Gruppe. Viele Dinge, die wir übers Fotografieren lernen – wie Kriterien für ein gutes Bild oder Kameraeinstellungen wie Belichtungszeit und Blende – gelten sowieso für die analoge wie die digitale Fotografie. Am allerwichtigsten ist, was jede Fotolaborgruppe dann tatsächlich machen will: ein gemeinsames Projekt, einen selbstgestalteten Kalender, Teilnahme an einem Fotowettbewerb, eine Porträtgalerie, eine Ausstellung usw. Eure Ideen sind gefragt, analoge und digitale Kameras und Entwicklungsmaterial sind vorhanden.
Bea Schmid
Gärtnern
Weg mit Handy, Tablet, Laptop! Ab ins Grüne! Wir wollen Erde unter die Fingernägel!
Lasst uns ernten, was wir säen!
Im neuen Praktischen Fach Gärtnern machen wir gemeinsam alles selbst: Wir ziehen Setzlinge vor, zimmern unser eigenes Hochbeet, wir schneiden Bäume, Büsche, Sträucher, wir begrünen nicht nur, wir bringen bunt blühendes Leben auf unser Schulgelände! Beikraut jäten, Regenwürmer füttern, grubbern, graben, genießen …
Pestizide bleiben aber außen vor. Wir gärtnern naturnah nach ökologischen Maßstäben.
Dazu lernen wir, die Natur zu verstehen und zu respektieren. Und sollten es doch einmal zu viele Läuse werden, dann suchen wir uns ein paar Marienkäfer, die das Gleichgewicht wieder herstellen.
Was denkst du, wiiiiieeee lecker Salat schmeckt, wenn wir ihn selbst gesät, gegossen und geerntet haben? Und was denkst du, wie groß der Andrang am Sommerfest sein wird, wenn wir kleine Sträußlein verkaufen und Heidehof-Ratatouille anbieten? Vielleicht schaffen wir es sogar, ein paar Marmeladengläser zu kochen? Himbeer? Johannisbeer? Erdbeer?
… Und nach den Sommerferien, wenn auch die späten Tomaten alle reif sind, verabschieden wir uns mit einem reichlich gedeckten Festmahl.
Gärtnern ist nicht einfach ein Fach. Es ist eine Herzensangelegenheit und es bildet Verantwortung. Wir gießen über die Woche nach einem festgelegten Plan. Alle im Wechsel hier an der Schule, und jede/r für sich seine kleinen Schützlinge auf dem Schreibtisch. Denn ihr werdet auch einiges nach Hause tragen dürfen, wenn ihr wollt.
Und wenn ihr eigene Ideen mitbringt, dann fallen die bei uns auf fruchtbaren Boden.
Ich freue mich auf euch,
Isabel Wünsch
Grafikdesign – analog und digital
Dieser praktische Kurs möchte zeigen, wie man mit Schriften, Farben, Formen und Bildern wirkungsvoll gestalten und kommunizieren kann. Wir alle leben in einer durchgestalteten Welt: Apps, Websites, Broschüren Buchcover und Plakate umgeben uns.
Aber was macht eigentlich eine „gute“ Gestaltung aus? Wann ist ein Plakat „plakativ“? Was muss ein Logo eigentlich können? Was macht eine gute Illustration mit einem Text? Das effektive Zusammenspiel verschiedener Gestaltungsmittel folgt einigen klaren Regeln, die man ganz einfach erlernen kann. Der Rest ist Inspiration und Aktion!
Zu der spannenden Möglichkeit, mit Grafikdesign den Alltag zu gestalten, gehören vielfältigste Techniken und Medien: Typografie, Drucktechniken, Zeichnen und Malen mit allen Stiften und Pinseln, Arbeiten mit Grafikprogrammen am Computer, Fotografie.
Vielfältige analoge künstlerische Verfahren werden genutzt, um grundlegende Gestaltungsvorgänge zu erlernen. Ergänzt werden diese zum Teil durch Grafikprogramme am Computer, in die hier ein Einblick vermittelt wird:
Illustrationsprogramme (z.B. Sketchpad, Adobe Illustrator, Affinity Designer, Procreate)
Bildbearbeitungsprogramme (z.B. Gimp, Adobe Photoshop, Affinity Photo)
Layoutprogramme (z.B. Scribus, Adobe InDesign, Affinity Publisher).
Die Grafikprogramme bieten eine sehr spannende Vielzahl von weiteren grafischen Möglichkeiten. Allerdings sind sie ein künstlerisches Medium wie alle anderen analogen Verfahren auch und machen alleine noch keine gute Gestaltung aus. Im Gegenteil können einen die vielen Anwendungen völlig überfordern und von der eigentlichen Gestaltung ablenken, wenn man nicht einen grundsätzlichen Durchblick im Design hat. Daher wollen wir hier bewusst beide Verfahren verbinden. Analoge Gestaltungen lassen sich z.B. wunderbar digital weiterentwickeln, wenn man ein bestimmtes Ziel vor Augen hat. Natürlich sind immer auch überraschende Experimente in beiden Bereichen möglich.
Isabel Lindemann
Hauswirtschaft
Essen und Trinken ist ein wichtiger Teil in unserem täglichen Leben. Im Mittelpunkt des Praktischen Fachs Hauswirtschaft stehen die Zubereitung und Verarbeitung unserer Lebensmittel zu leckeren Gerichten. Während wir viele Gerichte ausprobieren, üben wir den richtigen Umgang mit den Küchengeräten, lernen rationelle und sichere Arbeitsweisen kennen. Bei den Menüs, die wir individuell auf die Gruppe abstimmen, werden wir viele Gartechniken, Grundzubereitungsarten und Teigarten kennenlernen.
Die benötigten Lebensmittel werden gegen einen Unkostenbeitrag zur Verfügung gestellt. Natürlich verzehren wir anschließend immer gemeinsam die zubereiteten Speisen und sorgen dafür, dass die Küche wieder sauber verlassen wird.
Eva Mergenthaler
Musikproduktion
Wir verwandeln das Klassenzimmer in mehrere kleine Tonstudios, ausgestattet mit Laptops, Audio-Interfaces, Keyboards und Mikrophonen. In Zweiergruppen werdet ihr kreativ und produziert euren eigenen, persönlichen Song. Dabei verwenden wir zwei unterschiedliche Aufnahmetechniken: Bei der Audioaufnahme wird ein reales Instrument bzw. Gesang aufgenommen. Bei der Midi-Aufnahme werden Sounds aus dem Computer verwendet, die vom Keyboard aus gesteuert werden.
Zum Ablauf: Nach einer Einführung in die Software „Cubase“ werden wir uns in den ersten Sessions mit Drum-Programming, Bass-Recording, Chords sowie unterschiedlichen Parts in einem Pop-Song beschäftigen. In der Folge arbeitet ihr selbständig an eurem individuellen Song. Am Ende steht der Mixing-Prozess, in dem die Parts mit Effekten belegt werden und die Lautstärkeverhältnisse angepasst werden
Voraussetzung für die Teilnahme am praktischen Fach „Musikproduktion“ ist das Spielen eines Instrumentes (oder Gesang). Bitte vermerkt auf der Anmeldung, welches Instrument ihr spielt. Technisches Vorwissen ist nicht nötig.
Christoph Gärtner
Schneidern
An unseren acht schuleigenen Nähmaschinen können sich acht tapfere Schneiderlein pro Gruppe an die Arbeit machen. Wir erlernen zunächst den sachgerechten Umgang mit der Maschine. Wie wird eingefädelt, gespult und genäht? In einem ersten kleinen Werkstück erproben wir die Vielfalt der Stiche, die unsere Maschinen beherrschen. Ihr werdet in das kleine 1x1 der Schneidersprache eingeführt und erlernt die wichtigsten Tricks und Kniffe.
Nach dieser kurzen Einführungsphase steigen wir sofort in die Produktion ein. In diesem praktischen Fach können viele hübsche Dinge für den Alltag in den unterschiedlichsten Stoffqualitäten entstehen. Wir nähen mit vielfältigen Stoffen, Wachstuch, aber auch nach Wunsch mit LKW-Plane oder Rucksacknylon.
Was konkret genäht wird legen wir in jeder Gruppe individuell fest. Hier findet ihr nur einige Möglichkeiten.
Für die Schule: Mäppchen, Stifteetuis, Sportbeutel, Schlüsselbänder, Geldbeutel, Kartenmäppchen, Buchhüllen und sogar eine Collegetasche oder einen Rucksack.
Für daheim: Utensilos, individuelle Kissenbezüge, Kuscheltiere …
Für die Reise: Taschen, Kulturbeutel, Schminktäschchen, Zahnbürstenhüllen oder Reisepantoffel.
Weihnachten und Ostern bieten auch viele Möglichkeiten zur kreativen Arbeit. Ein Adventskalender, ein süßer Weihnachtselch oder ein Osterhase lassen sich auch gut auf der Nähmaschine erschaffen.
Gemeinsam in der Gruppe werden wir aus der großen Auswahl von Möglichkeiten festlegen was ihr am liebsten nähen möchtet. Auch Kleidungsstücke sind natürlich denkbar.
Ihr werdet eure eigenen Werke mit ganz anderen Augen betrachten und liebgewinnen. Das praktische Fach Schneidern eröffnet euch auch die Möglichkeit, viele schöne Geschenke für Freunde und Familie zu produzieren. Es lohnt sich!
Uschi Brehm
Töpfern
In unserer Schul-Töpferwerkstatt kannst du das Material Ton und dessen vielfältige Gestaltungsmöglichkeiten kennen lernen. Wir töpfern einerseits konventionell klassisch und schauen andererseits, wie artifiziell Keramikkunst sein kann. Vor allem haben wir Spaß am Erproben des traditionellen Keramik-Handwerksberufs, den man bis heute als Handwerksmeister oder als studierter Keramiker ausüben kann. Aufbautechniken lernen, eigene Objekte erstellen und vor allem Gefäße an der Drehscheibe von Hand formen verlangen als sinnliche Arbeit Übung und Konzentration und sind gleichzeitig meditativ. Es ist toll, selbst Dingen eine Form geben zu können, Unikate mit eigenem Charakter zu erstellen und dabei eine der ältesten Kulturtechniken wieder aufleben zu lassen.
Karina Stein
Werken
Wie hält man einen Hammer? Den meisten ist das natürlich längst klar vor dem Praktischen Fach Werken: Der Hammerstiel ist lang, damit man ihn am unteren Ende anfasst. Der selbstverständlich-sichere und zielführende Gebrauch von Handwerkzeugen wird ganz nebenbei bei verschiedenen gegebenen oder auch eigenen Projekten eingeübt. Das kann eine Marionette sein, die hergestellt wird, ein Styroporgleiter oder auch ein hölzernes Windrad für den Blumenkasten, ein selbst geschnitzter Eierbecher, eine mechanische Zugbrücke, eine große Rampe fürs Skateboard oder sogar ein funktionstüchtiger Maoam-Automat. Im Zentrum dieses Faches steht das Arbeiten mit Holz, aber auch andere Materialien sind nutzbar. Pläne fassen und erklären, nötige Arbeitsschritte festlegen und sie umsetzen. Mit Krafteinsatz oder mit Feingefühl sägen, schneiden, bohren, schleifen und verbinden wir Holz und anderes zum jeweils gewünschten Ziel. Nach einer Sicherheitsunterweisung kann auch die Nutzung mancher für die Altersstufe zugelassener Maschinen erlaubt werden. Das Material ist je nach gewünschter Menge meist vorhanden. Etwas selbst bauen kann großen Spaß und das eigene Produkt stolz machen.
Christian Lang